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Herzlichen Dank an Christine Pierach und die Passauer Neue Presse

Lautgemalte Bilder

Pegasus-Gast Toni Kirchmair im ausverkauften Scharfrichter

Von Christine Pierach

So gut wie kein Stuhl blieb frei am Mittwoch, als der Pegasus Toni

Kirchmair aus Marchhäuser in den Scharfrichter-Keller holte. Der

Querdenker (71) hat sein seit 2012 drittes literarisches Projekt

vorgestellt: „Der Mann, der sein Bruder war“.


„Ich schreibe meine Texte um des Schreibens, lese sie um des Lesens willen“

davon hält Kirchmair am 69. Jahrestag der Kapitulation Deutschlands im

  1. II.Weltkrieg und dem 60. der Kapitulation Frankreichs im Indochinakrieg

keine Widrigkeit ab. Für den Auftritt in Passau wollte der Freigeist die

Stimmbänder mit extra dafür zubereiteter Hühnersuppe schmieren, auf den

Tipp einer Opernsängerin hin. Und die Lesebrille hatte auch bereit gelegen.

Abends aber stand die Hühnersuppe immer noch daheim, vergessen im Wald

an der tschechischen Grenze, war die Brille plötzlich verschollen, flugs durch

die Leihgabe einer Freundin ersetzt. Behutsam und sicher, wie Toni Kirchmair

mit Sprache umgeht, handhabt er auch seine gedruckten Texte: Sorgfältig streift

er weiße Handschuhe über, um den Papierstapel aus losen Seiten aufzunehmen

in die Linke. Den rechten Handschuh zieht er wieder aus, fürs Umblättern.

Umblättern bei Kirchmair ist, das oberste Blatt anzuheben, abzulesen, danach

freizugeben, dass es zu Boden flattert wie ein müder Vogel, der sein Tagwerk

erledigt hat, ein Laubblatt, das am Baum nimmer gebraucht wird.


Ebenso wenig, wie seine jüngste Schrift den Namen „Buch“ verdient, lässt der

auch als Bildhauer, Zeichner und Fotograf namhafte, vielseitige Kirchmair sich

in den Begriff „Künstler“ oder den noch engeren „Autor“ zwängen.


Konsequenterweise wäre auch „Lesung“ für den Auftritt vom Mittwoch die

Untertreibung des Jahres. Kirchmair ist Minimalist, hat als einstiger Maschinist

in der Südsee ein Faible für riesige Maschinen   und für die Leichtigkeit:

„Ich will in der Kunst immer, dass die Dinge eine Leichtigkeit gewinnen.

So, wie die Luft sich hinter einem fliegenden Vogel schließt, soll die Kunst

durchlässig sein für alle, die da kommen und schauen“, erklärte er anlässlich

seines Debüts auf der Frankfurter Buchmesse 2012. Drei literarische Werke

gibt es inzwischen von ihm, keins davon ein schnödes Buch: dieses über einen

Halbbruder ist ein penibel ordentlicher Packen Zettel in einer Schachtel. Die

Hülle für den Loseblatt-Vorgänger (Auflage: fünf Exemplare) ist ein Schatzkistlein

aus gebleichtem Ahornholz, diese ist weiß, daneben steht noch ein Briefhalter aus

klarem Plexiglas. „Drei Silben“, der Erstling, ist ein 3,3 Meter langer,

handbedruckter Leporello (Auflage: 50 Stück), bewegt wie das Meer unter dem

Protagonisten, einem jungen Seemann, bewegt wie das Leben des Autors.


Diesmal erzählt er innig, präzise und unterfüttert mit historischen Daten, oft

schlicht, mit Wiederholungen, die wie Refrains klingen, von jenem Halbbruder,

den die Familie totschwieg. Der Bruder schlug nie und nirgends Wurzeln, zog

als Fremdenlegionär in den Indochina-Krieg. Es ist die Geschichte eines Bruders,

die sich von Toni Kirchmairs eigener Geschichte aber wohl nicht trennen lässt.


Zuhören erlaubt kein Zurückblättern, kein noch einmal Nachlesen. Wer sich einließ

auf die markanten, mal derben, dann wieder sehr poetischen Wörter, mit denen

Kirchmair lautmalt, mochte manchmal nicht mehr wirklich zu unterscheiden,

aus welcher Perspektive er gerade erzählte, um welchen der Männer, um welchen

der Brüder es gerade ging. Doch das schien gar nicht wichtig, trudelten und flatterten

die lautgemalten Bilder, die brüllenden Rinder, das Reisfeld, die Kriegs- wie die

Familienszenen doch mit den verlesenen Blättern davon wie diese zu Boden.