ANTON KIRCHMAIR
TARA:
Über den Stand der Dinge
Alter Schlachthof
Straubing
Dr. Franz Niehoff
Verehrte Damen und Herren,
lieber Anton Kirchmair!
Viele unter uns besuchen gern Ausstellungen zeitgenössischer Kunst und
mitunter spricht uns ein Werk unmittelbar an, ergreift „buchstäblich“ Besitz
von jemandem. Im Betrachten stellt sich in uns eine Antenne auf Empfang.
Götz Adriani notierte hierzu: „Künstler machen uns plötzlich auf Dinge
aufmerksam, die wir zuvor nicht wahrnahmen, ob gegenständlich oder
ungegenständlich.“
Dass zeitgenössische Kunst aber ganze Gruppen, von nennen wir es einmal
normal interessierten Bürgern zum Nachdenken bringt, ja zum Nachfragen
über etwas verführt, was von ihnen ansonsten als mehr oder weniger
unverständlich belächelt wird, das erlebt auch ein Museumsmann selten.
Genau dieses Interesse aufblühender Laien durften wir in der Landshuter
Heiliggeistkirche vor nunmehr vier Jahren, 2006, mit Anton Kirchmairs
Installation „buchstäblich unbeschwert“ erleben, als sich bei vielen
Führungen offene Diskussionen mit spannenden Fragen und experimentellen
Antworten ergaben.
Kirchmairs Monumentalskulptur in Form eines Mehrmasters mit gebrochenen
Flügeln, eines Geisterschiffes im Nebel oder eines Floßes der Medusa,
faszinierte. Faszinierte darüber hinaus z.B. den an Gegenwartskunst
desinteressierten Schreinermeister aufgrund ihrer verflixt perfektionierten,
handwerklichen Präzision, sprach den kritischen Intellektuellen wegen der
Vielzahl von Normbrüchen, gipfelnd in gekonnter Ironie gegenüber einer
Kultur des Geraden an.
Installationen in riesigen Museumshallen präsentieren im Jargon der
Museumsleute oft „Riesenschinken“, wie man sie besonders aus dem Barock
kennt. Manche sind fast untransportabel. Das große Format in der Moderne
fordert eigene Bedingungen der Präsentation ein. Guernica, Kienholz und
andere Riesenformate, womöglich sogar massive Skulpturen, bestimmen die
Dimensionen eigens dafür errichteter Ausstellungshäuser. Wohin aber mit
dieser Kunst nach der Finissage?
Jedes Kunstwerk, auch Kirchmairs „Kirchenschiff“ wurde und wird nach
vorwärts geschaffen, aber erst rückwärts verstanden, erst rückwärts öffnen
sich weitere Verständnis-Horizonte. Nach vier Jahren ist neues im
Rückspiegel zu erkennen. Von Kirchmair wird dies heute auf eine Jugender-
innerung im Spruch seines Vaters gebracht: „Es steht Spitz auf Knopf“:
Verehrte Gäste & Freunde Kirchmair’schen Gleichgewichtskunst!
In „TARA“, der Straubinger Ausstellung „Über den Stand der Dinge“, be-
treten drei Werkgruppen die Bühne in alten Straubinger Schlachthof.
I. Bei der ersten von ihnen handelt es sich um nobilitierte Recycling-
Fragmente der Landshuter Installation samt ihrer Transportverpackung.
Dies sind sozusagen Reliquien vom kirchmairschen „Installationsschiff“. In
Straubing wird zunächst eine überschaubare Gruppe aus der „Kiste 38“
federleicht präsentiert. Kirchmair äußert sich dazu folgendermaßen:„Die
Skulptur „Kirchenschiff“ aus der Installation „buchstäblich unbeschwert“
wurde zu Ende der Ausstellung in Hunderte von Einzelteilen zerschnitten.
Seit etwa zwei Jahren arbeite ich an einer Neufassung.“