Das „Projekt Kurbelwelle“ - 10 Tage danach, fast schon außerhalb des Beweußtseins. Erinnerungsfetzen hier und da miteinander verbunden. Negativreihen, teilweise entwickelte Positive, irgendwo im Regal die Videoaufzeichnung, unerreichbar im Moment. Podiumsdiskussion im Wintergarten und einige Gesichter von Menschen, die dabeigewesen waren. Jetzt die Arbeit am Katalog, hier am Text. Was bleibt von dem was war? Malerei für dreieinhalb Tage. Gewiß, dazu die Vorbereitungszeit, aber da war kaum Raum für gedankliche Konzeptarbeit. Die Organisation hat mich voll in Anspruch genommen. Kurz zuvor war noch meine Ausstellung „Serielle Malerei“ in Untergangkofen. Dann Rückfrage bei der Stadt wegen der Halle. Bedauern! Wird schon abgerissen, die Zuschüsse sind bewilligt, in der ersten oder zweiten Novemberwoche. Ich beschließe ganz spontan etwas zu machen - das „Projekt Kurbelwelle“; das war sofort klar, ohne vorher gedacht gewesen zu sein. Sicher, fasziniert hat mich das Ding bereits vor drei Jahren, im Deutschen Museum, bei den Schiffsmaschinen. Schon wie es gemacht ist. Im Gesenk geschmiedet, glühend; präzise nachgearbeitet. Dann das Prinzigp, Umwandlung einer durch Explosion hervorgerufenen Auf-und Abbewegung in eine Drehbewegung. 7000 mal in der Minute. Das Verkröpfte scheint nichts mit Bewegungsharmonie zu tun zu haben. Dann das Wort „exzentrisch“ Exzentrisch und dennoch ausgewuchtet auf Grammbruchteile. Die Exzentrik als Transformator. Ich bekam den Raum ohne Formular, ohne Distanzenweg; nur für den Schlüssel eine Empfangsbestätigung, vorgetippt: „ Hiermit bestätige ich usw. usw.“ Ich muß nur unterschreiben und komme mir vor wie ein Fabrikbesitzer. Die große Halle mit Rampe, davor ein richtiger Parkplatz mit Schlaglöchern und Wasserpfützen, Hinterhofcharakter, Stalkermilieu.In der Ecke ein verrostetes Schild "Auflegerinnung", in der anderen alte Ölfässer, schwarz getränkte Erde und Abfall. Vor dem Tor ein Verschlag, irgendwetwas aus Amerika für einen Mister in Viecht, der Inhalt längst ausgeliefert. Zwei große Tore, die quietschen beim Öffnen. Die elektrischen Kabel herausgerissen, abgenabelt vom Energiezemntrum. Es riecht nacht alten Aktivitäten. Im Keller zusammengefagte Sägespäne, am Tor leere Bierflaschen. Ich stecke mein Revier ab, pinkle hinter den Verschlag, später an die Dachrinne. Schau mir die Wand an, beobachte sie aus den Augenwinkeln, nicht lang anfangs, aber oft. 18 kräftige Schritte lang, sehr hoch, kein Fenster, keine Unterbrechung, nur ein kleines Gesims außerhalb meiner Reichweite. Ich taste mich heran: die Oberfläche ist sehr rau, trocken und verstaubt. Die ersten Armbewqegungen, wie hoch, wie oft, wie schnell? Links, die Ecke wird das Trainingslager, rechts an der Stirnwand auch noch sechs oder sieben Meter. Die Wand soll für den Schluß bleiben. Ich bekomme viel von überall her. Vor der Feuerwehr die Beleuchtung, vom Nachbarn den Strom; Halteverbotsschilder für den Hof. Zirngibl zaubert eine Videoanlage her, einfach so, Helmut freut sich und Brunner Anne lernt das Photographieren und die Arbeit in der Dunkelkammer. Der erste Nachmittag ist schnell um, nur noch drei Tage. Ich brauche beängstigend viel Farbe, kaufe 100 kg auf Lieferschein, die mitgebrachten Pinsel erweisen sich als zu klein, mit dem Waschel geht es besser. Die ersten Kreise an der Wand, nachher senkrechte und waagrechte Symmetrieachsen gegen die anatomische Heftigkeit gesetzt. Ich zeichne die Kurbelwellenelemente in die Kreise, probiere viel, übermale, versuche Bewegungsabläufe und Gegenstand symbiotisch miteinander zu verbinden.. Dazwischen, viel Zurücktreten, auch Leerlauf und Fehlversuche, wie die Meißel- und Ritzarbeiten. Als Klammer: immer wieder Übermaliungen, wie anfangs, doch jetzt mutiger. Der Putz wird saftig, der Waschel glitscht darüber. Meine Kleider gleichen sich der Wand an, Farbe bis auf die Haut, dazu der Schweiß. Es ist verdammt kalt. Schneeschauer, Dauerregen, Allerheiligen. Manchmal kommen Besucher, das gibt Probleme. Kommentare, leise, aber so, daß ich sie verstehen muß. Feiertagsanzüge. Ich stehe der Wand fremd gegenüber. Am Sonntag dann, ich habe kaum noch Kraft. Die großen Kreise zehren an den Reserven, trotzdem. Immer rechts beginnend, 18 Meter nach links. Der Boden wird glitschig, wieder zurück, neuer Arbeitsgang, von rechts nach links, mit den Leuten im Rücken. Ich kämpfe dagegen an. Entwickle Aggressionen. Nach jedem Konstruktionsgang ein Rotationsgang. Allmählich und unbemerkt Zustand der Losgelöstheit. Gleichlauf. Harmonie der - meiner - Bewegungen. Die Kurbelwelle hat ihren Dienst getan. Befreite Aktion. Malen um des Malens willen. Jetzt erst, in den letzten Minuten: Lust! Die Leute sind zugestrichen. Ergebnisse werden zu Zwischenergebnissen. Mehrschichtigkeit. Vielschichtiglkeit. Viertelkreise aus dem Schultergelenk. Diagonal, tangential, gedankenlos - mit dem Bewußtsein der Richtigkeit. Viel Farbe - wenig Gleitwiderstand! Rinnsale, Lichtreflexe, Transparenz bis zum Grund. Wissen um den Anfang. Verschmelzen der Stadien, dennoch deren Ablesbarkeit. Zum Schluß setze ich schwarz darüber - entschieden! Noch einmal, wie zum Auslaufen, zärtlich und endgültig - Eherenrunde - das letzte Weiß aus dem Kübel. Der Herr vom Liegenschaftsamt war da. Morgen soll - er sagt „leider“ - mit dem Abbruch begonnen werden. 11. November 1981
Anton Kirchmair - PROJEKT KURBELWELLE - Auflegerinnung Landshut